Die Ruhe-Trainer kommen (NZZ, 19. Juli 2006)
Eine Ausbildung zum «Restcoach» verspricht den richtigen Umgang mit Arbeitspausen
rel. «Ich würde gerne etwas über die Ausbildung zum Restcoach erfahren.» - «Welche Ausbildung?» - «Die zum Restcoach.» - «Wie buchstabiert man das?» - Die Empfangsdame bei «Ruhe und Aktivität» bleibt bei der telefonischen Anfrage ebenso verwirrend gelassen wie verwirrend ahnungslos, was die Bildungsangebote ihrer Gesellschaft betrifft. Und prompt ist man selbst wieder unsicher, ob es das tatsächlich gibt, was man auf der Website gelesen haben will: einen Ruhetrainer. Doch tatsächlich, da steht es: «Ausbildung zum Restcoach». Erholungskompetenz verspricht sie, die zum erstrangigen Thema in Wirtschaft und Gesellschaft geworden sei. Wer über sie verfügte, wäre demnach eine gefragte Fachperson.
<h2>Zuerst das Ruhebewusstsein schärfen</h2>
Wie also erwirbt man sich, was einem das Tor zu einer goldenen und erst noch entspannten Zukunft aufzustossen verheisst? Erst die Medienbeauftragte von «Ruhe und Aktivität», Barbara Ryser-Inderbitzin, klärt einen auf. Der Restcoach-Kurs, der im August Premiere haben wird, soll in einem ersten Schritt das Ruhebewusstsein der Teilnehmenden schärfen. Wie Ryser-Inderbitzin betont, seien wir weit von dem Mass der Ruhe entfernt, das die Produktivität erst eigentlich ankurbelt. Die richtige Dosis: dreimal täglich 20 Minuten. Die wahre Erholung finde man aber nicht beim Pausenkaffee mit Klatsch und Tratsch. Erholung finde man nur, wenn man sich hinlegt und die Augen schliesst.
Das aber will gelernt sein. Denn was der richtigen Ruhepause zuerst im Wege steht, sind Klischees und Vorurteile, die unsere Gesellschaft prägen. «Zeit ist Geld», heisst es, und wer sich eine Ruhe gönnt, dem wird gleich mit Rost gedroht. «Die Sprichwörter zeigen schon, worum es geht», meint Ryser-Inderbitzin. Darum nämlich, ein Ruheselbstwertgefühl aufzubauen, das den hämischen Bemerkungen der Kollegen oder gar dem scheelen Blick des Chefs standhält.
Erst in einem zweiten Schritt sollen die beratenden und animatorischen Fähigkeiten vermittelt werden, damit man den Ruhegedanken bei Kolleginnen und Kollegen verankern kann, und schliesslich soll der Restcoach auch darüber Bescheid wissen, wie man einen richtigen Ruheraum in einem Unternehmen gestaltet. Anregungen dazu kann sich der zukünftige Coach am Ausbildungsort selbst holen. «Ruhe und Aktivität» hat an der Sumatrastrasse bereits 2001 den schweizweit ersten öffentlich zugänglichen Ruheraum geschaffen, wo Glieder und Geist von gestressten Werktätigen Erholung finden. Kleiner Haken: Aufgrund der Öffnungszeiten kann der Ruheraum nicht dreimal pro Tag aufgesucht werden, sondern nur über Mittag.
<h2>In Unternehmen noch eine Seltenheit</h2>
Und auch in Unternehmen sind Ruheräume eher eine Seltenheit. Ryser-Inderbitzin zählt gerade einmal fünf Betriebe mit solchen Erholungs-Örtchen auf, wobei bei einem das Angebot nur noch von wenigen Mitarbeitenden benützt werde, ein anderes, das Casino-Theater Winterthur, es wieder abgeschafft habe. Noch seltener sind Pioniere wie der Migros-Fleischverarbeitungsbetrieb in Bazenheid. Micarna unterhält Ruheräume für ihre 650 Beschäftigten schon seit mehreren Jahrzehnten, noch bevor also Ruhe so richtig zum Powerthema wurde und das Wort Erholungskompetenz erfunden war. In Bazenheid stehen drei Räume mit insgesamt rund dreissig Liegen zur Verfügung, die regelmässig genutzt würden, von Frauen und Männern, von Managern und Arbeitern gleichermassen. Der Nutzen lasse sich zwar nicht in Zahlen ausdrücken, doch seien ausgeruhte Arbeiter bestimmt produktiver, weiss Kurt Eichenberger von Micarna. Micarna bietet übrigens auch zweimal wöchentlich zwanzigminütige Massagen an, die Kosten dafür übernimmt das Unternehmen, die Nutzniesser «opfern» lediglich ihre Zeit, sprich: sie stempeln während der Dauer der Erholung aus.
Eben erst einen Ruheraum eingerichtet hat Kraft Foods Schweiz in Bern für ihre 250 Mitarbeitenden in der Toblerone-Produktion. Vorerst sei man in der Versuchsphase, sagt der Projektverantwortliche Christoph Jäggi. Zuerst müsse man das Personal in der Benützung schulen, damit aus einem Kraftnickerchen - einem «Power Nap» - kein «Dauer-Nap» werde. Doch immerhin hat Jäggi die Bedenken des Managements so weit zerstreuen können, dass überhaupt ein Raum mit zehn Liegen bestückt werden konnte. Würde er sich bewähren, sei man auch bereit, weiter zu investieren, führt Jäggi aus.
Restcoachs, die in Unternehmen sowohl für das notwendige Bewusstsein wie auch für die notwendige Infrastruktur sorgen, haben also noch genügend Betätigungsfelder. Und soll einem niemand weismachen wollen, dass der Kurzschlaf nur die Wurst- und Schoggi-Produktion ankurbelt und nicht auch fürs Banken und Broken Wunder wirkt.